Auftakt des Auftandes: Plünderungen
Am 12. April 1809 kamen nach dem Sieg gegen die bayerischen und französischen Soldaten große Massen an Landstürmern nach Innsbruck. Viele plünderten und bedrohten die Bevölkerung. Diese Geschehnisse sollten sich noch mehrmals wiederholen.
Der Zorn richtete sich in erster Linie gegen die Beamten, die im Namen Bayerns ihren Dienst verrichtet hatten. Doch wurde in der Folge nicht so genau zwischen „Freund“ und „Feind“ unterschieden, sondern vielmehr traten die gegenseitigen Zuschreibungen und Missverständnisse zwischen Stadt und Land offen zutage. Der Priester Josef Daney berichtet in seinen 1814 niedergeschriebenen Erinnerungen von einem Zwischenfall in Zirl, bei dem er gehört habe, wie die Leute begeistert riefen: Auf, Mander! Af Sprucka acha! D’Herra derschlage, d’Stadt plündera! G’scheider hoba’s mier, as d’Buara! (Erinnerungen Daney, S. 44)
Zur Anheizung des Aufstandes hatte Joseph von Hormayr das Flugblatt „Auf Tiroler, auf“ in tausendfacher Auflage drucken und verbreiten lassen. Manche hielten es schon am 11. April abends in Händen. Die erste Seite findet sich häufig in Ausstellungskatalogen abgedruckt. Die wenigsten lesen jedoch das gesamte Flugblatt, das unter anderem auch eine deutliche Hetze gegen die Juden der Stadt enthält:
Die Geistlichkeit wurde verfolgt, standhafte Bischöfe und Priester verjagt, die Abteyen und Klöster beraubt, viele Kirchen entheiligt oder gesperrt, das Kirchengut verschleudert, die heiligen Geräthe absichtlich an Juden verkauft? – So forderten es die Grundsätze jener verächtlichen Neuerungs- und Zerstörungssucht, die nichts Heiliges, nichts Altes mehr ehrt, und doch nichts Neues zu schaffen vermag. So will es jene blutdürstige Heucheley, welche nichts als Religion im Munde führt, während sie den heiligen Vater in harter Gefangenschaft hält, und wie in Egypten den Alkoran, so in Europa bald das Evangelium, bald den Talmud zu ihren herrsch- und habsüchtigen Entwürfen mißbraucht. (zit. nach Hörmann, Interessante Beyträge, S. 3f.)
Dies fiel auf fruchtbaren Boden. Nicht wissend, dass die Juden direkt und indirekt auch den Aufstand mitfinanziert hatten, richtete sich ein Großteil der Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. Die Tagebücher bzw. Zusammenfassungen und Erinnerungen von Andreas von Dipauli, Anton Knoflach und Josef Daney berichten ausführlich darüber. Nun begann eine allgemeine Plünderung der Judenfamilien. Der Grund des Volkshasses wider sie war, weil sie vor kurzem bey der öffentlichen Versteigerung das Kirchensilber gekauft hatten. Die Personen dieser Familien wurden mit harter Mühe vor der Volkswuth gerettet, heißt es etwa in Dipaulis Tagebuch (p. 7v) Er bekam diese Plünderungen, die sich auch gegen ihn als hohen Beamten im Rang eines Appellationsrats richteten, am deutlichsten mit, da die Familie Uffenheimer im selben Haus, in dem er wohnte – damals Engelhaus genannt (Ecke Burggraben/Maria-Theresien-Straße) – ihren Verkaufsladen hatte. Mehr auf das Hörensagen war wahrscheinlich Daney angewiesen, der sich zwar vor Ort befand, aber nicht überall dabei sein konnte. Zudem schrieb er seine Erinnerungen erst einige Jahre später nieder. Aus diesem Grunde klingen seine Berichte schon nach fertig abgepackten, oftmals gehörten und erzählten Geschichten:
Ein Jude verkoch sich mit seinem Gelde und Kostbarkeiten in einen Ofen. Die Bauern kamen, nachdem sie das ganze Haus durchsucht, in das Zimmer und schlugen mit ihren Gewehrkolben den Ofen ein. Der arme Jude, mit Staub und Ruß bedeckt, verdrehte, sich wahrscheinlich in Isaaks unangenehme Schlachtopferlage denkend, so sonderbar seine erschrockene, schwarze Miene und rief so fürchterlich unverständlich seine Patriarchen zu Hilfe, daß die Bauern selbst erschrocken den Teufel zu sehen glaubten und, sich segnend, über Hals und Kopf davonliefen. Daß der betäubte Israelit nicht lange mehr mit seinem Gelde unter den Trümmern seines Ofens verweilte, können Sie sich leicht denken! Ein anderer Jude verbarg sich in einem Weinfasse, welches mit Stroh zugedeckt war. Die Bauern durchwühlten das ganze Stroh und stachen es mit Bajonetten durch. Denken sie sich den Angstschweiß des armen Hebräers! Wieder ein anderer floh aus seinem Hause über die Gasse, als er zur Klosterkaserne kam, sah er einige Bauern durch eine entferntere Gasse herziehen. Um ihnen nicht in die Hände zu fallen und sich zu retten, verkroch er sich unter ein leeres Mehlfaß, deren mehrere vor der Kaserne standen. Der Zufall wollte, daß die Bauern gerade auf dieses Faß losgingen, um auf demselben ihre an Geld gemachte Beute zu teilen. Stellen Sie sich das Zittern des beängstigten Juden und seine mißliche Lage vor, wenn die Bauern auf einmal das Faß umgeworfen, oder wenn einer ihn unter demselben verspürt und ihm so plötzlich zugerufen hätte: „Veni foras, Lazare!“ (Erinnerungen Daney, S. 28)
Ellinor Forster
Quellen und Literatur
– Mercedes Blaas (Hg.), Der Aufstand der Tiroler gegen die bayerische Regierung 1809 nach den Aufzeichnungen des Zeitgenossen Josef Daney (Schlern-Schriften 328), Innsbruck 2005.
– [Joseph von Hörmann], Interessante Beyträge zu einer Geschichte der Ereignisse in Tyrol vom 10. April 1809 bis zum 20. Februar 1810. Gesammelt und herausgegeben zur unterhaltenden Vergleichung mit andern Nachrichten, Zeitungen und französischen Armee-Tags-Berichten – nebst kurzen Anmerkungen, o. O. 1810.
– Wolfgang Meighörner, Das Tagebuch des Appellationsrates Andreas Alois Baron di Pauli von Treuheim, in: ders. (Hg.), Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2008, Innsbruck 2008, S. 204-329.
– Franz Schumacher (Hg.), Anton Knoflach’s Tagebuch über die Ereignisse in Innsbruck … im Jahre Neun … (Anno Neun XIII), Innsbruck 1909