O weh! O weh! Die Bayerische Armee
In den letzten Aprilwochen 1809 war vielerorts in Tirol das Siegeslied „O weh! O weh! Die Bayrische Armee“ zu hören, das die ersten Siege der Tiroler über die bayerischen Soldaten verkündete und feierte. Dutzende politische Lieder wurden anlässlich der Kämpfe 1809 oder auf Andreas Hofer selbst gedichtet. Einige wenige Stimmen sangen aber auch für die bayerische Seite …
Am Ende des Monats April soll das vierstrophige Lied O weh! O weh!, mit dem Untertitel Grabinschrift auf die Bayern bereits in der Bevölkerung erklungen sein:
O weh! O weh!
Die bayrische Armee
Ist von Bauern tot geschlagen
Und mit Jubel ins Grab getragen.
Kampf-, Kriegs-, Soldaten, Schlacht-, Huldigungs-, Spott-, aber auch Siegeslieder wie dieses können durchaus inhaltsreiche und aussagekräftige historische Quellen sein. Gut gedichtete Texte in Verbindung mit eingängigen Melodien überleben oft als Überbleibsel einer lang vergangenen Zeit (historisch-politische Volkslieder), während andere politische Lieder schnell wieder vergessen werden, sobald der Anlass keine Aktualität mehr besitzt. Auch die Jahre der bayerischen Regierung in Tirol, die von 1805 bis 1814 dauerte, und 1809 durch die so genannten Tiroler „Freiheitskämpfe“ kurzweilig unterbrochen wurde, boten viele Anlässe, die politische Lyrik blühen zu lassen und manche Gedichte mit einer markanten Melodie zu unterlegen.
Einen ganz ähnlichen Ton wie das Siegeslied im April 1809 schlägt das Lied Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns an, das nur wenige Monate, vielleicht sogar nur Wochen, vor dem Aufstand „Anno Neun“ gedichtet worden ist. Der Schöpfer Franz Karl Zoller (1748-1829), Landschaftsmaler, Kupferstecher und Baudirektionsbeamter, verleiht der merkbaren Unruhe in der Bevölkerung eine Stimme und schreibt:
He Nochba Lenz beym Soggara
Wos treiben denn die Bayren?
I moan, sie wollen s landl gar
Af ainmal iz omayren.
In den weiteren Strophen des Mundartliedes beschwert sich Zoller über die teilweise nicht gehaltenen Versprechen des bayerischen Königs, etwa jene, Tirols Verfassung zu wahren oder den Tirolern hinsichtlich der Religionsausübung keine Vorschriften machen zu wollen.
Neben einer Reihe von pro-tirolischen Liedern, die ähnliches wie die eben dargestellten Lieder etwa vom Siegestaumel nach den ersten gewonnenen Gefechten im April 1809 berichten oder eine ohnehin kampfbereite Bevölkerung zum Angriff motivieren, so wusste aber auch die gegnerische Seite ihr Anliegen in Worte und in Töne zu fassen:
Nun hört uns, ihr Bayern!
Wir wolln euch was sagn.
Nur tuts uns beim König
Nöt gar z’viel verklagn!
Wir sehen den Irrtum
Bekennen den Fall
Und schämen uns selbsten.
Verzeiht uns diesmal!
…
Wir wollen in Frieden
Recht nachbarlich leben;
Nur müßts uns Tirolern
Die Dummheit vergebn!
…
O wäre der Sandwirt,
der Anderl nöt g’wen!
Kein Anderer tät sich
zum Kriegsführn verstehn.
Er aber ist tückisch
Und tamisch vor Wuat;
Der anonyme Dichter dieser Verse, die unter dem Titel Nun hört uns, ihr Bayern bekannt sind, entschuldigt sich in diesem Lied für das Vorgehen von Andreas Hofer und sucht die Versöhnung mit Bayern nach den Ereignissen des Jahres 1809. Es wurde vermutlich am Ende des Jahres 1809, auf jeden Fall aber noch vor der Erschießung von Andreas Hofer in Mantua, gedichtet. Weitere Verse behandeln die Schuld der österreichischen Gesandten, die den Tirolern zu Beginn der Aufstände Geld und Truppen zugesagt, sie zum Aufstand aufgehetzt, dann aber ihre Hilfe zurückgezogen hätten.
Es ist ein sehr ungewohntes Lied, und mag angesichts der traditionellen Erinnerungstradition in Staunen versetzen, stellt das Lied die Tiroler doch als „reumütige Bittsteller“ dar. Dennoch sollte es nicht verwundern, dass auch kritische Stimmen in Liedern ihren Ausdruck fanden, denn die Taten der führenden Tiroler „Freiheitskämpfer“ stießen nicht bei allen Landsleuten auf positive Resonanz. Und so ist das „Entschuldigungslied“ der Tiroler eine interessante Quelle, die uns den Blick auf kritische Stimmen Anno Neun freigibt.
Silvia Erber
Quellen und Literatur
– Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Historische Sammlungen, Flugschriften.
– Robert F. Arnold/Karl Wagner: Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres (Schriften des literarischen Vereins in Wien 11), Wien 1909, bzw. TLMF, Dip. 535.
– J. Levi S. Bartholdy, Der Krieg der Tiroler Landleute im Jahre 1809, Berlin 1814.
– August Hartmann, Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert, 3 Bände von 1756-1879, München 1913, S. 115.
– Dietmar Sauermann, Das historisch-politische Lied, in: Rolf Wilhelm Brednich/Lutz Röhrich/Wolfgang Suppan (Hg.), Handbuch des Volksliedes (Motive – Freiburger folkloristische Forschungen), Bd. 1: Die Gattungen des Volksliedes. München 1973, S. 293-322.