7. bis 13. Sept.

(Ge)Denkwürdiger September

In der Woche zwischen dem 7. und 13. September 1809 war Andreas Hofers Regierung in der Innsbrucker Hofburg mit Verwaltungsfragen beschäftigt. 150, beziehungsweise 175 Jahre später bot Innsbruck den Schauplatz für große Landesfestumzüge anlässlich von 1809-Jubiläen.

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Am 13. September 1959 kämpfte Andreas Hofer nicht mehr wie 150 Jahre zuvor gegen Bayern und Franzosen. Der Feind war nun plötzlich Italien, und es ging um die Grenze am Brenner. Denn im Mittelpunkt des Festumzuges, wie überhaupt des ganzen Jahres, stand in diesem Jahr die Südtirolfrage. Schützen trugen als Symbol für den „Schmerz der Tiroler Bevölkerung“ über die 1918 erfolgte Zweiteilung des Landes eine schmiedeeiserne Dornenkrone mit. Andreas Hofer wurde dargestellt als Kämpfer für die Einheit Tirols, als Symbolfigur für den Freiheitskampf der Südtiroler.

25 Jahre später, am 9. September 1984 führte wieder ein 1809-Gedenkumzug durch Innsbrucks Innenstadt. 175 Jahre Andreas Hofer standen auf dem Programm. Der Schwerpunkt lag dieses Mal weniger bei der Südtirolfrage. Im Gegensatz zu 1959 hatte sich der Konflikt mit Italien in der Zwischenzeit deutlich entspannt. Ganz wollte man sich jedoch doch nicht mit der „Unrechtsgrenze am Brenner“ abfinden. Abermals wählte man als Symbol die Dornenkrone. Verlangte man jedoch 1959 noch konkrete Grenzkorrekturen, so beschwor man nun die „geistig-kulturelle Einheit“ Tirols. Die Kontinuität von traditionellen „konservativen Tiroler Werten“ sollte demonstriert werden.

Die Stoßrichtung der in den Feierlichkeiten geäußerten Forderungen hatte sich geändert. Ging es 1959 gegen Rom, so richtete sich das Programm von 1984 besonders auf die Tiroler Gesellschaft, also nach innen. An der traditionellen Hofer-, beziehungsweise Tirol-Interpretation (hierzu gehören Schlagworte wie Freiheitswille, Rechtschaffenheit, Religiosität, Wehrhaftigkeit, Wertekontinuität, etc.) wurde jedoch festgehalten. Doch während dieses Bild 1959 noch unhinterfragt von großen Teilen der Tiroler Bevölkerung mitgetragen wurde, hatte sich die Gesellschaft bis 1984 in der Art verändert, dass sich die konservativen politischen Eliten, die die Feierlichkeiten als Identifikationsgrundlage für die ganze Tiroler Bevölkerung postulierten, kritischen Stimmen gegenüber sahen.

Aus zwei unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Situationen heraus wurden die Figur des Andreas Hofer und das Jahr 1809 in den Jubiläumsjahren 1959 und 1984 jeweils neu interpretiert und mit neuen Inhalten gefüllt, um jeweils eine sinnstiftende Funktion erfüllen zu können. Andreas Hofer und das Jahr 1809 sind nämlich nicht nur Teile der politischen Geschichte Tirols. Sie sind auch Teil seines kulturellen Gedächtnisses, Geschichte, die nicht durch Historisierung vergeht, sondern mit einer andauernden Bedeutung ausgestattet wird, die die Vergangenheit in der Gesellschaft präsent hält und ihr eine Orientierungsfunktion für die Zukunft abgewinnt, wie es Aleida Assmann ausdrückt. Dieses Gedächtnis brauche jedoch Pflege, um fortbestehen zu können. Die Erinnerungsfiguren müssen immer wieder neu, und zwar aus der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Situation heraus, mit lebendigen Gedächtnissen und neuen Inhalten verbunden werden. Der Spielraum ist dabei groß, und das kann unter Umständen auch in gefährliche Instrumentalisierung im Sinne fragwürdiger Ziele münden – die Kehrseite der Erinnerungskultur.

Michael Span

Quellen und Literatur:

– Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006.
– Michael Forcher, Anno Neun. Der Tiroler Freiheitskampf von 1809 unter Andreas Hofer. Ereignisse, Hintergründe, Nachwirkungen, Innsbruck 2008.
– Andreas Oberhofer, Weltbild eines „Helden“. Andreas Hofers schriftliche Hinterlassenschaft (Schlern Schriften 342), Innsbruck 2008.
– Benedikt Posch, Tirol 1959, Innsbruck-Wien-München 1960.
– Siegfried Steinlechner, Des Hofers neue Kleider. Über die staatstragende Funktion von Mythen, Innsbruck-Wien-München 2000.
– Johannes Weber/Michael Span, Rituale der Erinnerung. Die Gedächtnisfeiern 1959 und 1984 im Vergleich, in: Brigitte Mazohl/Bernhard Mertelseder (Hg.), Abschied vom Freiheitskampf?. Tirol und ‚1809‘ zwischen politischer Realität und Verklärung, herausgegeben von (Schlern Schriften 346), Innsbruck 2009, S. 503-524.