Das „Gemetzel“ von Melleck
Die Tiroler hatten noch im ganzen Kriege keine solche Niederlage erlitten. So kommentiert Josef Egger (Geschichte Tirols, Bd. 3,2; S. 731) den Ausgang der Kämpfe im Gebiet des bayerisch-tirolischen Grenzortes Melleck am 17. Oktober 1809. Nachdem im ganzen Tal eine fürchterliche Metzelei gewütet hatte (Rapp, Tirol im Jahr 1809, S. 668) waren 300 Tiroler tot und weitere 400 gefangen, wobei unter Letzteren auch Josef Speckbachers Sohn Anderl war. Speckbacher selbst konnte schwer verwundet fliehen.
Will man diesen und anderen Autoren glauben, so forderte kein anderes Gefecht im ganzen Kriegsjahr 1809 mehr Opfer auf Seiten der Tiroler als eben jenes – heute weitgehend vergessene – um den kleinen bayerischen Weiler Melleck mit eben 300 toten und 400 gefallenen Tirolern. Doch wie zuverlässig sind eben zitierte Angaben zur Anzahl der Gefallenen?
Untersucht man die Quellen dieser ersten ereignisgeschichtlichen Gesamtdarstellungen zu „anno 9“, so zeigt sich, dass diese Werke fast ausschließlich aus verschiedensten Selbstzeugnissen wie Tagebüchern, Memoiren, Erlebnisberichten und vergleichbaren Schriften schöpften (siehe dazu auch Schennach, Revolte in der Provinz). Gemein ist dieser Quellengattung jedoch eine stark räumlich wie zeitlich beschränkte Perspektive. Ein für die Erfassung aller Gefallenen der Kämpfe des Jahres 1809 distanzierter Blick kann von den Produzenten dieser Zeugnisse aber kaum verlangt werden.
Die erste Gesamtzahl der Gefallenen Tiroler findet sich somit wenig überraschend in Josef Hirns „Tirols Erhebung von 1809“. Wenig überraschend deshalb, da Hirn als erster auch Aktenmaterial aus Tiroler, österreichischen und bayerischen Archiven für seine Darstellung heranzog. Und so bezifferte Hirn die Zahl der gefallenen Tiroler des Jahres 1809, ein amtliches Verzeichnis (Hirn, Erhebung, S. 827) zitierend, mit 969. Eben jenes Verzeichnis veröffentlichte Hans Kramer 31 Jahre nach Hirns „Erhebung“ in der Reihe der Schlern-Schriften unter dem Titel „Die Gefallenen Tirols 1796-1813“ und beleuchtete darin auch die Entstehung dieser Akten.
So war anlässlich der Errichtung der Andreas-Hofer-Grabstätte in der Innsbrucker Hofkirche im Tiroler Landtag die Frage aufgekommen, ob und wie den neben Hofer anderen gefallenen Tiroler zu gedenken wäre. Nach längeren Verhandlungen beschloss man, vorerst einmal die Namen aller gefallener Tiroler erheben zu lassen. Die Pfarrer wurden beauftragt, die Gefallenen anhand ihrer Sterbebücher, sowie aus Gesprächen mit Veteranen der „Franzosenkriege“ festzustellen und an das jeweilige Landgericht zu melden. Die von den Landrichtern gesammelten Daten wurden über die Kreisämter nach Innsbruck gesandt, wo diese Listen schließlich ausgewertet wurden. Und eben dieser Auswertung entstammt die von Hirn genannte Zahl 969.
Dank dieses „amtlichen Verzeichnisses“ können nun aber noch mehr Fragen als nach der bloßen Anzahl der Gefallenen beantwortet werden. Nennen die Listen doch neben dem Namen, dem Beruf, dem Geburts- und Wohnort des Gefallenen auch noch den Ort, die Zeit und die Art seines Hinscheidens und erlauben so etwa Rückschlüsse auf die geographische oder soziale Herkunft der Gefallenen und somit auch auf die der Träger der Erhebung von 1809 zu. Dazu mehr im Beitrag vom 16. November.
An dieser Stelle sei abschließend noch einmal auf das eingangs erwähnte Gefecht um Melleck und auf die Frage, wie viele Tiroler denn nun tatsächlich an jenem 17. Oktober 1809 ihr Leben ließen, eingegangen. Rechnet man alle Einträge in diesen Listen zusammen, bei denen man aufgrund des angeführten Todesorts und Todestag davon ausgehen kann, dass die betreffenden Person im Gefecht bei Melleck, jener „fürchterlichen Metzelei“ getötet wurde, so kommt man auf 51 gefallene Tiroler.
Karte „Gefallene nach Landgericht“
Grafik „Gefallene nach Sterbetag (1809)
Peter Andorfer
Quellen und Literatur
– Peter Andorfer, „Tote Tiroler“. Eine rezeptionsgeschichtliche und quellenkritische Untersuchung und Präsentation der Zahl der im Jahre 1809 gefallenen Tiroler, ungedr. Diplomarbeit, Innsbruck 2009.
– Josef Egger, Geschichte Tirols von den ältesten Zeiten bis in die Neuzeit, Bd. 3,2, Innsbruck 1880.
– Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909².
– Hans Kramer, Die Gefallenen Tirols 1796-1813 (Schlern-Schriften 47), Innsbruck 1940.
– Joseph Rapp, Tirol im Jahre 1809, nach Urkunden dargestellt, Innsbruck 1852.
– Martin P. Schennach, Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809 (Veröffentlichungen des Landesarchivs 16), Innsbruck 2009.
– Die „Gefallenenlisten“: Tiroler Landesarchiv, Abt. Landesverteidigung 1835/36, Fasz. 257, Buchhaltungsberichte über Defensionsforderungen von 1809.