Kämpfe in Meran: Bergisel-„Schlacht“ im kleinen Stil?
„Iselbergschlacht kleineren Stile“, so beschrieb Josef Hirn in seiner „Erhebung Tirols“ 1909 die Kämpfe in und um Meran vom 16. November 1809. (Zur aktuellen Diskussion über den Begriff „Schlacht“ siehe den Beitrag vom 17. Oktober) Wenn auch die Zahl der Kämpfer sowohl auf Seiten der Tiroler als auch auf gegnerischer Seite nicht an jene vom Bergisel heranreichen mag, so übertraf die Summe der bei diesem Gefecht getöteten Tiroler jene der Bergisel-Kämpfe bei weitem.
Das ergibt wenigstens die Analyse der Gefallenenlisten, wie im Beitrag vom 17. Oktober vorgestellt. Nach diesen verloren in Meran am 16. November 88 Tiroler ihr Leben. Zum Vergleich: Für den 13. August, also für den Tag der größten Bergisel-„Schlacht“ weisen die Gefallenenlisten gerade einmal 22 Tiroler auf, die in und um Innsbruck getötet wurden. Gleichzeitig war dieser 16. November auch der blutigste Tag im Jahr 1809 – aus Sicht der Tiroler. Die Analyse dieser Gefallenenliste (zu Problemen und Gefahren, die eine derartige Auswertung beinhalten, siehe Andorfer, Tote Tiroler, hier vor allem S. 61ff.) zeigt ein in vielerlei von der klassischen Überlieferung abweichendes Bild der Ereignisse von 1809.
Aus der Verteilung der Gefallenen nach ihrer Herkunft und nach den Todesorten und Todestagen zeigt sich, dass die Kämpfe des „Kriegsjahres“ 1809 nur vereinzelt und kurz aufloderten. In den etwa 600 deutschsprachigen Gemeinden Tirols fanden in rund 400 Gemeinden, also in zwei von drei Gemeinden keinerlei Kämpfe mit tödlichem Ausgang statt. Dagegen starben allein in vier Orten, nämlich Innsbruck (172) Meran (98), Bruneck (63) und Melleck (51) rund 40 Prozent sämtlicher gefallenen Tiroler des Jahres 1809.
Von insgesamt 64 Landgerichten hatten 17 keinen einzigen Gefallenen zu beklagen, während 40 Landgerichte in den Kämpfen des Jahres 1809 weniger als ein Prozent ihrer männlichen Bevölkerung verloren. Die meisten Gefallenen im Verhältnis zu seiner männlichen Bevölkerung stellte dabei das Landgericht Passeier mit 58 Getöteten. Dies entspricht einem Anteil von zwei Prozent, gefolgt von Meran mit 114 Gefallenen oder 1,7 Prozent der Männer des Landgerichts.
Mit für Tiroler tödlichem Ausgang gekämpft wurde im Jahr 1809 an 142 Tagen, wobei davon allein an 19 Tagen 450 Tiroler fielen. An allen übrigen Tagen fielen nie mehr als zehn Tiroler. Mit 223 Gefallenen war der Monat November vor dem August und Dezember mit jeweils 126 bzw. 120 Gefallenen der schlimmste Monat für die Tiroler.
Beinahe völlig revidiert werden muss die Vorstellung, der Tiroler Aufstand sei hauptsächlich, wenn nicht gar ausschließlich von Bauern getragen worden. Vor allem dann, wenn sich mit dem Begriff des Bauern das Bild des politisch und ökonomisch weitgehend selbstständigen, weil Grund und Hof besitzenden, verbindet. Stellte diese Berufsgruppe mit 386 Gefallenen oder rund 40 Prozent zwar die meisten, aber dennoch nicht einmal die Hälfte aller 1809 im Kampf Getöteten. So kamen rund 30 Prozent (281) der Gefallenen des Jahres 1809 nämlich aus der Gruppe der unselbstständigen ländlichen Arbeiter, wie beispielsweise Tagelöhner oder Knechte. Und auch die Handwerker wie Müller, Bäcker oder Schneider stellten mit 160 Gefallenen noch knapp 16 Prozent aller 1809 Getöteten.
Eine Frage allerdings, die auch eine tiefgreifende Analyse der Gefallenenliste nicht beantworten kann, ist jene nach der Gesamtzahl der gefallenen Tiroler des Jahres 1809. Zwar nennt Hirn schon 1909 die Zahl 969 und beruft sich dabei auf die eben ausgewerteten Listen. Einerseits fehlen darin aber jene Tiroler, die 1809 verwundet und oder gefangen wurden und daran erst in späteren Jahren verstarben. Andererseits – und dies scheint weit bedeutender – hat ein Vergleich der Gefallenenlisten mit den Sterbebüchern von rund 70 Pfarren Nord- und Südtirols gezeigt, dass eben diese Listen nur rund 70 Prozent der Gefallenen, die in den Sterbebüchern verzeichnet sind, umfassen. Diese Abweichungen eingerechnet liegt die Gesamtzahl der gefallenen deutschsprachigen Tiroler des Jahres 1809 zwischen 1300 und 1400.
Peter Andorfer
Quellen und Literatur
– Peter Andorfer, „Tote Tiroler“. Eine rezeptionsgeschichtliche und quellenkritische Untersuchung und Präsentation der Zahl der im Jahre 1809 gefallenen Tiroler, ungedr. Diplomarbeit, Innsbruck 2009.
– Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909².
– Die „Gefallenenlisten“: Tiroler Landesarchiv, Abt. Landesverteidigung 1835/36, Fasz. 257, Buchhaltungsberichte über Defensionsforderungen von 1809.