Die „Millinger-Chronik“. Bericht eines Zeitzeugens.
Die folgenden Zeilen stammen aus der „Millinger-Chronik“, einer gut 1000 Seiten starken Handschrift, verfasst vom Waidringer Bauern, Mesner und Viertelschreiber Leonhard Millinger. In dieser 1815 vollendeten Arbeit dokumentierte Millinger, neben einer Beschreibung der gesamten Welt, auch die Geschehnisse seiner unmittelbaren Umgebung, allen voran die Ereignisse im Zusammenhang mit der Erhebung von 1809.
Die im Anschluss zitierte Passage beschreibt den Abzug der bayrisch-französischen Truppen nach den verlorenen Kämpfen am Berg-Isel, am Brenner und im Tiroler Oberland zu Beginn und Mitte August. Abgesehen von den militärhistorisch interessanten Quantifizierungen Millingers, seien es Verlustangaben oder Beobachtungen zur Truppenstärke, deutet der Auszug beispielsweise Brüche innerhalb der Tiroler Kampfbereitschaft an. Andreas Hofer sieht sich etwa genötigt ins Tiroler Unterland zu reisen, um den Gerichten Kufstein und Kitzbühel einen Verweis zu erteilen, da diese sich nicht an den vorangegangenen Kämpfen beteiligt hatten.
Auch wenn Millinger beschreibt, dass die Bewohner um Lofer und Unken von den Bayern angehalten werden, Wald und Gebäude, also potentielle Deckung für Verteidiger um den Pass Strub, niederzureißen, so drängt sich die Frage auf, wie befreit oder lähr wie Millinger schreibt, Tirol gegen Ende August wirklich gewesen ist. So ist es auch möglich, dass Tiroler Oberländer im bayrisch(tirolisch)-salzburgischen Grenzgebiet bayrische Patrouillen, ein Biget [lise Piquett] ausheben konnten.
Nach diesen, seine engste Umgebung betreffenden Geschehnissen, berichtet Millinger mit drei Zeilen von einem Kampf zwischen Engländern und Franzosen am 20. August um die Insel „Cadsand“ [gemeint ist hier das niederländische Cadzan] und demonstriert in dieser Weise, dass auch in scheinbar entlege ländliche Gebiete „internationale“ Nachrichten vordrangen.
Die Bair riterieren das 2.te- mahl auß den Tyrol |
Den 18. August kam Nachricht, das heuet oder morgen Bair, Saxen und Francosen von Oberland zu- rugg herab riterieren. Da machten sich die Lands Leith bei: und nahent der Land Strass, samt ihren besten Haußrat in die Berg Flucht. Bei den meisten das 5.te- mahl.Heuet däto als 18. August sind bei 3000 Mann bairisch Millitär durch Kuefstain Bairn zumäschirt. Den 19. August komen von 2 biß 7 Uhr frue bei 7500 Mann Bair, Saxen und Francosen durch Ri- torät alhir vorbei herab, wobei ungefehr 2000 Gä- beristen. Die nach schwerwende Trämeser raup- ten in viel Orthen, bevor die Imppen aus. Mithin sind hinauß bei 10.500 Mann und vor 3 Wochen sind herein bei 21.500 in mehr Or- [S. 860.] ten so zeiget sich ein Abgang Verlust bei 11 tausent Mann. Wie einige Bair selbsten einbekennen. Also ist das Tyrol zum 3.ten mahl durch die Ober- und Etschländer, mit Anfierhung des Ober Komodänt Andre Hofer von bairisch: und francössischen Armeen lähr: und frei gemacht worden. Biß an die Festung Kuef- stain, wo anoch Bair darin sind. Vorbesagte Millitär ist von 28. July büß 19. August, folg- lich 22 Täg in Tyrol gelegen. Den 20. August als Sontag, mueß aus bairisch Millit- tär Befehle von Unkner und Lofnern Baurn Volk der Ty- roller Wald in Bass Strub nieder gehackt werden, wo hernach daß Holz auf Reichen Haller Salz Pfann gebracht worden. Auch muß daß Würths Hauß samt Pferd Stall [anheunte]weck gebrochen: oder prent werden, wie geschehn. Däto sind noch 1000 Mann Bair in Lofer und Unken. Soch 20. August haben die Engeländer 2 Angrif auf der Innsul Cadsand gegen den Francosen getan. Die Enge- länder zohen das Kürzern. Der francössische Lefeber Reichs-Marschal Herzog von Dänzing beklagt sich über der Schimpf und Spot, den ihm und seiner Arme daß Tyroller Land Volk anmacht, we- gen Tödtung und Gefangen Nehmung so vieller Millitär auch öftern Rittorät. Den 21. August ist Andre Hofer in Wörgl, wohin von Keufstain und Kitzbichel Außschuß ein beruffen und die- se bekomen ein Verweiß, daß sie vor 5 Tagen nicht mit ge- holffen haben. Den 26. August ist noch Waffen Stilstand zwischen Oesterreich und Francosen mit vereinigten Bayrn. Um selbe Zeit komen öfter mahlen Oberländer Land Volk in Bass Strub auf Patriollen, wo sie einmahl ein bairisch Biget aufgehöbt. |
Peter Andorfer
Quellen und Literatur
– Tiroler Landesarchiv (TLA), Mikrofilm Nr. 774/1, „Millinger-Chronik“, S. 859-861.